Lehrer-Rundbrief no 72 - June 2001



Phantasie in der Sprachlehrerausbildung?


Hört auf den Clown zu spielen

lernt, ein Clown zu werden!

Eine am Boden liegende Schnur trennt den Übungsraum in Bühne and Zuschauerbereich. Auf der Bühne liegt nichts als ein großer Haufen Stoff, eine alte Decke. Die 11 Zuschauer, Studenten and Dozenten der neu eingerichteten einjährigen Ausbildung zum Waldorf-Fremdsprachenlehrer am Stuttgarter Seminar, blicken gespannt auf den Kandidaten, der jetzt zum ersten Mal „als Clown" auftritt. Vivian Gladwell, unser französisch/englischer Workshop-Leiter aus Toulouse, gibt durch leise Zwischenrufe begleitende Hilfestellung: „Schau zum Publikum! ... Nicht vorher denken! ... Jetzt, greife das Tuch! ... Bleibe bei dieser Bewegung! ... Was könnte das sein? ... Dran bleiben!" usw. Die Zuschauer biegen sich schon vor Lachen oder Staunen ob des entstandenen Bewegungsbildes, welches um so eindringlicher wirkt, je einfacher and beharrender der Kandidat sich mit ganz unscheinbaren Einzelheiten beschäftigt. Der Clown ist wie ein Forscher, lernen wir, der die Dinge untersucht, die ihm begegnen, ohne schon vorher zu wissen, was er da vor sich hat. Oft will er gerade das Unmögliche probieren, aber er weiß immer, dass er ein Clown ist, der Blick zum Publikum verrät das, and so bewegt er sich ständig zwischen verschiedenen Standpunkten.

Schon diese kleine Szene zeigt, welche Anregungen für den Sprachlehrer aus den Clowning-Übungen resultieren: Humor der Dinge, Humor des Lebens, Bewusstsein für Bewegungen, Schulung der Langsamkeit, des Beharrens in der Beobachtung, Improvisationstalent, Unbefangenheit im Blick auf die Welt.

Eingebettet waren diese Szenen stets in ausführliche Vorübungen vielfältigster Art. Und weitergeführt wurden sie in Theatralisches, mit Kostümen and auch mit Sprache. Nicht zuletzt war es auch die warme, herzliche Austrahlung von Vivian Gladwell, die uns begeisterte.

So hatten wir nach dem Workshop einen reichhaltigen Erfahrungsschatz, der uns anregte, über weitere Verbindungen zum Unterricht nachzudenken. Clowning im Sinne von Vivian Gladwell soll ja weder eine Clownausbildung noch eine direkt anwendbare Übungsreihe für die Schulklassen sein. Es dient einzig and allein der Persönlichkeitsbildung. Wenn man jedoch den Übungsansatz als Anregung erlebt, lassen sich, entsprechend umgewandelt, improvisatorische Übungen für den Sprachunterricht entdecken, die den Akteur in allen Themengebieten wecken. Ein Forschungsgebiet für die Grammatik, die Rezitation, den Wortschatz. Im Sinne von Peter Lutzker war dies eine zukunftsweisende Lehrveranstaltung des Seminars. Er wies in der "Erziehungskunst" (April 101, S. 406) nochmals auf die neuesten Forschungen der Neurolinguistik hin and schrieb: „Gerade für den Fremdsprachenlehrer wird die Ausbildung von Wahrnehmungsorganen and Ausdrucksmöglichkeiten viel entscheidender sein als die Aneignung von spezifischen fachlichen Inhalten and Methoden."

Siegmund Baldszun

 

Rückblick einer Seminaristin:

Welch erfrischende Übungswege haben wir als Gruppe im Clowning-Workshop kennengelernt!

- Ein erweitertes Erlebnis des Raum-Empfindens als Einzelner and gleichzeitig Mitglied einer Gruppe

- Vielschichtige Ausdrucksmöglichkeiten des individuellen "Selbst" (oneself) durch Gebärde und Stimme

- Geweckte Aufmerksamkeit für den Anderen, verbunden mit dem stetigen Suchen im Augenblick nach Gleichgewicht von: hören/aufnehmen und äußern/manifestieren

Das waren einige der vielen Höhepunkte. - Der Humor, zusammen mit dem „Auskosten des Lebens im Augenblick", war stets präsent und half uns, freudig lernen zu können, sein zu können, erfrischt den Kurs zu beenden, um die errungenen and gewonnenen Schätze als Werdender, Lernender, Mensch wie Saatgut ins Leben zu bringen. Den Organisatoren, allen Teilnehmern und besonders Vivian Gladwell ein herzliches Dankeschön! E. D.